Sonntag, 5. Dezember 2010

Tag 27, Westmeerstaudamm bei Namp'o, US-Spionageboot "Pueblo"

Die Koreaner nennen das Gelbe Meer Westmeer. In der Mündung des Taedong in dieses Meer bei Namp'o errichteten in den Jahren 1981 bis 1986 drei Armeedivisionen den damals grössten Staudamm der Welt. Der sogenannte West Sea Barrage besteht aus einer 8 Kilometer langen Staumauer, drei Schleusen für Schiffe bis zu 50.000 Bruttoregistertonnen, 36 Sielen und einer Aussichtsplattform mit einem Museumsgebäude in Ankerform.

Der Staudamm dient in erster Linie als Wasserscheide zwischen Meer- und Flusswasser, als schnelle Strassen- und Eisenbahnverbindung zwischen dem Nord- und Südufer des Taedong sowie als physische Barriere an der Flussmündung. Er bewahrt die Region bis hinauf nach Pjöngjang vor möglichen Flutkatastrophen, macht den Schiffsverkehr unabhängig von den starken Gezeiten und dient der Verfügbarkeit von Süsswasser für die Industrie und zur Trinkwasserversorgung der Region.





Wir besuchen eine Mineralwasserquelle, in der das Wasser auch abgefüllt wird. Der Direktor der Fabrik erzählt, dass hier so und so viele Flaschen pro Tag produziert werden. Der Detektiv macht sich wie wild Notizen in seinen kleinen Block und sagt strahlend, aber in verschwörerischem Ton, dass die Zahl nicht stimme, sie sei weit aus geringer. Er hat die Zeit gestoppt, die Flaschen gezählt, die in dieser Zeit über das Fliessband laufen und dann hoch gerechnet. Ich nicke nur genervt und suche das Weite.






Wie immer gibt es viel zu viel zu essen, wir lassen die Hälfte stehen. Ich denke an die Leute, die draussen auf der Strasse Nüsse sammeln. Die Gruppe besteht mit einer Ausnahme nur aus Männern und gleicht trotzdem einem Haufen Waschweiber. Ein Gerücht macht die Runde. Unser Reiseleiter hat mit der älteren Assistentin was am Laufen, jemand hat gesehen wie sie heimlich Händchen gehalten haben, ein Anderer wie sie ihn in einer Art zusammen gestaucht hat, die sie sich wohl nicht erlauben würde, wenn sie nicht inexistentes Hab und Gut teilen würden. Wir besuchen das Kriegsmuseum. Halbwahrheiten, glatte Lügen, romantisierte Kriegsgeschichten, bei denen einem als angehender Historiker die Haare zu Berge stehen. Ein Keller voller eroberter, amerikanischer Waffen, Panzer, Hubschrauber, Flugzeuge und als Höhepunkt ein von Herzen kommender Entschuldigungsbrief von abgeschossenen, amerikanischen Hubschrauberpiloten.












Dann Besuch von einem gigantischen Kriegsdenkmal und schliesslich des amerikanischen Spionageschiffs „Pueblo“.

Die USS Pueblo (AGER-2) ist ein Aufklärungsschiff der US-Marine, das im Jahr 1968 durch die Kaperung durch die nordkoreanische Marine besondere Berühmtheit erlangt hat. Es befindet sich noch heute im Besitz Nordkoreas und ist damit das weltweit einzige Schiff der US-Marine, das sich in den Händen einer fremden Macht befindet.

Die Pueblo wurde in den nordkoreanischen Hafen Wŏnsan gebracht. Die Besatzung wurde in Gefangenenlager gebracht und dort nach eigenen Angaben misshandelt und gefoltert. Die Behandlung verschlimmerte sich, als die Nordkoreaner bemerkten, dass Mitglieder der Besatzung auf inszenierten Propagandafotos ihre Bewacher hinter deren Rücken mit der später in Deutschland als Stinkefinger bekannt gewordenen Geste verunglimpften. Die Fotos wurden von den Nordkoreanern mit der Begründung veröffentlicht, dass die Besatzung überlaufen wolle.

Die USS Pueblo wurde zunächst in Wŏnsan der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Im November 1998 gelang es Nordkorea, das Schiff gut getarnt auf dem Seeweg um die koreanische Halbinsel in die Hauptstadt Pjöngjang zu überführen. Sie befindet sich heute im dortigen Hafen und ist eine der grössten Touristen- und Propagandaattraktionen Nordkoreas.

Die Bayern und ich hängen an den Lippen der schönen Matrosin und nicken geflissentlich, der Detektiv notiert sich Seriennummern der amerikanischen Navigationsgeräte.






Wir besuchen ein authentisches, von der Bevölkerung sicher häufig frequentiertes Kaufhaus, voll mit europäischen Produkten, von Sauerkraut über Coca Cola bis zu Bockwurst ist alles vorhanden. Ich kaufe Leibniz Butterkekse, die auch hier 52 Zähne haben.


Der Detektiv spricht mich an und ich will schon unter einem Vorwand weglaufen, weil ich denke, dass er mir erzählen will, dass die Butterkekse eigentlich in China hergestellt wurden oder so was, aber als ich ihn nach seinen Reisen frage, antwortet er, dass das Schöne am Reisen dessen Einfachheit sei. Zuhause hat man Hypotheken, Verpflichtungen, das Leben frisst einem auf. Auf Reisen ist alles überschaubar, passt in einen Rucksack, man hat lösbare Probleme, Essen, Schlafen, Visum, Fahrkarte.
Auf der Rückfahrt entdecken wir, dass die Läden zwar dunkel aber nicht geschlossen sind. Yvott ,der Südafrikaner, fastet immer noch um die Seelen der Nordkoreaner zu retten und im Reizrausch, der mich nicht verarbeiten lässt, geht ein weiterer Tag in Nordkorea zu Ende.

Dienstag, 23. November 2010

Tag 26, Demilitarisierte Zone zwischen Nordkorea und Südkorea

Wir fahren durch die leeren Strassen aus Pjöngjang hinaus. Die Menschen sammeln Nüsse von den Bäumen im Park, fischen im Fluss, arbeiten auf dem Feld, Kinder patrouillieren singend durch die Strassen.












Vom einen James Bond Film her stelle ich mir die DMZ als riesiges Minenfeld vor, mit Hovercrafts, sprengstoffbeladenen Brücken und voller Soldaten. Die Realität ist weit weniger spektakulär, ein verschlafener Grenzposten, allerdings mit massiven, meterdicken Toren, dann Fahrt durch die Landschaft, wo Bauern hinter Stacheldraht ihre Felder haben. Der Grenzposten entbehrt nicht einer gewissen Komik, blaue Baracken, eine halbe Stunde besucht von den Touristen in Nordkorea, dann eine halbe Stunde von denen in Südkorea, es ist als ob man in einen Spiegel schaut. In der Ferne sieht man den Mast mit der Südkoreanischen Flagge, jenseits der Baracke südkoreanische Soldaten, die mit ihren Gewehren und gepanzerten Anzügen im Vergleich zu unseren Soldaten geradezu futuristisch aussehen.














Am Abend dann eine der vielen Planänderungen. Wir fahren zum ersten Mal in der Nacht und erst noch durch ein ländliches Gebiet. Wohl unbeabsichtigt sehen wir das alltägliche Leben der Nordkoreaner. Dunkle Strassen, halb legale Strassenmärkte, reger Betrieb, Menschen, die wie Geister durch die Strassen huschen.



Scheinbar endlos fahren wir durch die Nacht und einen Moment lang denke ich, dass uns nie jemand finden würde, wenn die Regierung beschliessen würde, uns verschwinden zu lassen. Die Handys und alle anderen Geräte, die als Peilsender dienen könnten, wurden konfisziert. Mitten in der Nacht kommen wir in einer riesigen Hotelanlage an, die aus vielen kleinen Bungalows besteht. Normalerweise werden hier Staatsgäste und ihre Konkubinen einquartiert, aber all zu viele davon hat Nordkorea nicht, also sind wir hier. Die Bungalows sind in altem Luxus gehalten, eine riesige Badewanne soll spezielles, gesundes Wasser liefern. Ich sitze mit meinen zwei Bayern im Zimmer, wir trinken, ich reisse Witze darüber, was heute Nacht in der Honeymoonsuite der beiden passieren wird, nach dem Motto "what happens in North Korea stays in North Korea", bis wir schliesslich in eine religiöse Grundlagendiskussion abdriften, die wie immer in eine Sackgasse führt. In der Nacht fange ich eine Kakerlake und eine Libelle, die so gross ist, das sich ihr Flügelschlag anhört, als wäre ein Hubschrauber im Zimmer

Samstag, 20. November 2010

Tag 25 Teil 2, Arirang-Festival, Pjöngjang

Der Hauptgrund für meine Reise folgt am Abend; Das Arirang-Festival ist eine nordkoreanische Massenveranstaltung, die im Rŭngnado-May-Day-Stadion in Pjöngjang stattfindet und nach dem alten koreanischen Volkslied Arirang benannt ist:

Das Arirang-Festival zeigt die Geschichte Nordkoreas mittels Massentänzen und Massengymnastiken und findet in unregelmäßigen Abständen statt. An der Veranstaltung wirken je nach Jahr meistens über 100.000 Menschen mit. Es werden in einer präzisen Massenchoreographie auf der Rasenfläche Episoden sowohl aus der revolutionären Vergangenheit nachgestellt, wie z. B. die Taten der beiden Führer Kim Il-sung und Kim Jong-il, als auch der aus nordkoreanischer Sicht großartige Entwicklungsstand der Gegenwart. Auf der Tribüne hinter den Tanz-, bzw. Gymnastikformationen sitzen Zehntausende anderer Mitwirkender, die aus einzelnen farbigen Pappkarten riesige Bilder nachzeichnen, die den Effekt ähnlich einer Großbildleinwand haben. 
Die zehntausenden Mitwirkenden im Hintergrund sind dieses Jahr übrigens ausnahmslos Kinder.





100'000 Darsteller, 20'000 Kinder, welche mit einzelnen Schildern den Hintergrund liefern und 150'000 Zuschauer, die grösste Veranstaltung der Welt. Wir hätten eigentlich erst am vorletzten Tag hierher kommen sollen, doch scheinbar ist dann Kim Jong Il mit Sohn Kim Jong Un, seines Zeichens frisch ernannter General und designierte Nachfolger des geliebten Führers, im Stadion und da sind keine Touristen erlaubt.

Ich bin erst zwei Tage hier, doch habe ich bereits Mühe, meine Eindrücke zu ordnen und zu verarbeiten, der Zeitplan ist straff, von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends, Statuen, Bilder, Geburtsorte, Denkmäler, Museen, tanzende Kinder und im Gegensatz dazu nicht minder verwirrend, Alltag, der sich nicht grossartig von dem in anderen asiatischen Städten unterscheidet, beinahe langweilig, normal ist. Am Abend dann Bierzeltstimmung mit den Deutschen im Hotel, was bei mir nach drei Wochen Unabhängigkeit im Zug und Sprachbarriere zusammen eine totale Reizüberflutung auslöst. Während die Massen jubeln und die Tänzer tanzen, sitzt neben mir ein massiger Kölner, der mir wegen seiner verwirrten, tolpatschigen, stotternden Art schon früher aufgefallen ist und die kleine Führerin, der die Bayern den Namen „Kim Stasi“ gegeben haben. Der Kölner ist ziemlich erkältet und schneuzt so laut und dazu noch in meine Richtung, dass ich mich angewidert abwende, Kim Stasi sieht das und bricht in kindliches Gelächter aus und ich kann nicht mehr und lache auch. Jedes mal wenn er sich schneuzt, jedes mal lauter und widerlicher, wie es scheint, wird das Lachen stärker und erreicht den Höhepunkt, als er fragt, worüber wir denn lachen. Kim Stasi ist noch in der Ausbildung und dies ist ihr erstes Praktikum, wahrscheinlich erscheinen wir ihr genauso schräg und fremd wie ihr Land uns, jedenfalls wirkt auch sie völlig überdreht.























Draussen vor dem Stadion wird einem das Ausmass der Massen erst richtig bewusst, ein Meer von Uniformen, Nordkorea hat die verhältnismässig grösste Armee der Welt, 30 % des BIP werden für sie ausgegeben, insgesamt stehen ständig mehr als eine Million Soldaten in Bereitschaft. Von verschiedenen Seiten hört man allerdings, dass die Waffen veraltet sind und da es in Nordkorea so gut wie kein Öl gibt, dürfte es ziemlich schwierig werden einen Krieg auf dem Boden zu gewinnen.





Die Gruppe wird zu einer Gemeinschaft geschweisst, wir sind jeden Tag 10, 12 Stunden zusammen, sehen, essen das Gleiche, werden gleich merkwürdig angeschaut. Am Abend gibts wieder reichlich zu essen und Bier, ich erzähle die Geschichte aus dem leeren beijinger Restaurant, wo an die 15 Leute arbeiten und einer der Angestellten den ganzen Tag nichts anderes macht, als Fliegen zu klatschen. Der Wiener Richter füllt den Bewertungsbogen für die weibliche Bedienung aus, fährt grosses Geschütz auf, „charming“, „lovely“, „beautiful“. Jemand sagt, er solle doch gleich noch seine Zimmernummer darunter schreiben. Gelächter. Langsam wird das hier normal.